19. Februar Hanau – Wir fordern Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung, Konsequenzen

Update: Schweren Herzens müssen wir die geplante Gedenkaktion beim Alhambra aufgrund der Unwetterwarnungen ausfallen lassen.

Am 19. Februar 2020 wurden in Hanau Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov, Mercedes Kierpacz, Said Nesar Hashemi, Sedat Gürbüz und Vili Viorel Păun aus rassistischen Motiven von einem rechtsextremen Täter erschossen. Sieben weitere Menschen wurden schwer verletzt.

Auch jetzt, zwei Jahre nach dem rassistischen Attentat, kämpfen die Überlebenden und Angehörigen noch immer mit den Folgen dieser Nacht und noch immer bleiben viele Fragen offen.

Noch immer müssen sie darum kämpfen, dass öffentlich zugegeben wird, dass es struktureller und institutioneller Rassismus und die Gleichgültigkeit für eben jenen war, der diesen Anschlag erst ermöglichte.

In ihrem Text „Kette des Versagens“ beziehen sie klar Stellung zu den Geschehnissen vor, während und nach der Tat und decken auf, inwiefern Warnzeichen ignoriert und Risiken für migrantisch markierte Menschen willentlich von staatlichen Institutionen und „Sicherheitsbehörden“ in Kauf genommen wurden.

Denn schon vor der Tat war der Täter einschlägig bekannt. Er hat sein verschwörungsideologisches Gedankengut, sowie seinen Verfolgungswahn, inklusive der Verlinkung seiner Website (die rassistische Inhalte aufwies), selbst durch eine Anzeige gegen die Staatsanwaltschaft Hanau an diese herangetragen.

Auffällig ist auch, dass es schon zwischen 2017 und 2018 zu bewaffneten rassistischen Bedrohungsfällen in unmittelbarer Nähe seines Wohnortes kam, denen nie nachgegangen wurde, da man den Jugendlichen, die dies zur Anzeige brachten, keinen Glauben schenkte, ihnen gar mit einer Anzeige drohte.

Auch sein Gefechtstraining in der Slowakei will von den Behörden unbemerkt geblieben sein.

Das widerliche und unaushaltbare Statement der Waffenbehörde dazu:

“Aus Fehlern lernt man“.

Neun Fehler? Die Verletzten inbegriffen 16 Kollateralschäden, keine verlorenen Menschenleben, keine Familien und Freunde die Trauern? Es darf zu Recht gefragt werden was noch gelernt werden soll, nachdem der Worst-Case bereits eingetreten ist.

Eine Behörde die eine solche Aussage trifft ist weder „lernfähig“ noch reformierbar!

Wo von strukturell rassistischen und nicht reformierbaren Behörden und Institutionen gesprochen wird, wird immeindexr auch von der Polizei gesprochen. Deren Verhalten während der Tatnacht und darüber hinaus war geprägt von einer deutlichen rassistischen Grundhaltung, Kälte und Fahrlässigkeit gegenüber den Angehörigen und Überlebenden.

„Ein bisschen später hat mir ein Polizist gesagt, dass ich zur Polizeiwache am Freiheitsplatz laufen soll, um dort eine Aussage zu machen. Das sind ungefähr drei Kilometer von Kesselstadt. Zu dieser Zeit war der Täter noch auf der Flucht. Wenn ich mir heute überlege was das für ein gefährlicher Vorschlag war, würde ich dem Polizisten am gerne die Weste vom Leib reißen. Aber in dieser Schocksituation bin ich seiner Anweisung gefolgt. Ich bin dann Umwege durch kleine Gassen gelaufen, doch irgendwann konnte ich nicht mehr weiter. Ich war fertig, ich konnte mich nicht mehr bewegen, wahrscheinlich aus Angst vor dem Täter. Ich habe dann einen Freund angerufen, der hat mich abgeholt.“

Piter Minnemann, Überlebender

Stundenlang werden viele der Angehörigen im Ungewissen gelassen, von einer Station zur nächsten geschickt, bekommen nur unzureichende Informationen, keine psychologische, oder anderweitige Betreuung. Die Angehörigen von Mercedes werden sogar zunächst vom SEK in ihrem Auto, wo sie vor dem Tatort auf weitere Informationen zum Verbleib ihrer Tochter warteten, mit gezückten Waffen umstellt und aus dem Auto geholt.

Zum polizeilichen Versagen kann es an dieser Stelle endlindexos weiter gehen. Vom nicht besetzten Notruftelefon in dieser Nacht, bis hin zum bis heute unklaren Ablauf der Hausdurchsuchung des Täters.

Auch nach der eigentlichen Tat geht die Schikane für die Angehörigen weiter. Die Obduktion der Getöteten wurde ohne ihr Wissen und ohne die Gelegenheit sie vorher noch einmal zu sehen durchgeführt und alle Angehörigen erhielten sogenannte Gefährder*innenansprachen. „Wir sollten keine Straftaten begehen“. Ganz in rassistischer Manier wurde ihnen das Motiv des Rachemordes am Vater des Täters unterstellt. Eine extrem perfide, absolut zu verurteilende und unglaublich ekelhafte Täter*innen-Opfer-Umkehr.

Eine Gefährder*innenansprache für den Vater des Täter hielt die Polizei offenbar nicht für nötig, obwohl dieser durch ein extrem nationalistisches und rassistisches Verhalten sowie Drohungen gegen die Betroffenen auffiel.

Da von Seiten der Justiz und des Staates offensichtlich keine Hilfe, sondern lediglich rassistische Schikane für die Betroffen zu erwarten war, haben sie sich durch die Gründung der Initiative 19. Februar Hanau gegenseitig Halt gegeben. Durch den Aufbau einer professionellen Website, Interviews und Presseberichte haben sie sich sich größeren medialen Einfluss hart erkämpft und dennoch bleibt vieles ungeklärt und vertuscht.
Es ist überdeutlich, wie stark der Wunsch der Betroffenen und Angehörigen nach gesamtgesellschaftlicher Veränderung, Aufklärung, Erinnerung, Gerechtigkeit und Konsequenzen ist. Denn dieser Anschlag war und bleibt keine Einzeltat, sondern das Ergebnis des rassistischen Normalzustands der weißen Dominanzgesellschaft, und der rechten Hetze von Politiker*innen, Parteien und Medien, Behörden und Sicherheitsapparaten.

Gemeinsam mit den Betroffenen fordern wir deshalb eine lückenlose Aufklärung der Tat des 19. Februar 2020. Wir fordern die konsequente Aufdeckung und Bekämpfung des strukturellen und institutionellen Rassismus in Staat und Gesellschaft.index

Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten zu Erinnern und mahnen. Unsere Solidarität gilt den Betroffenen und Angehörigen. Wir Gedenken den Getöteten  Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov, Mercedes Kierpacz, Said Nesar Hashemi, Sedat Gürbüz und Vili Viorel Păun des rassistischen Anschlags vom 19. Februar 2020 in Hanau.

Gemeinsam mit u.a. Seebrücke Oldenburg, United Against Racism, FridaysForFuture Oldenburg, StudentsForFuture Oldenburg, Jugendmigrationsdienst Oldenburg, Anna Schwarz Haus, Women Defend Rojava, BecomeAmiCal Bildungsförderung e.V., Vasudeva e.V., WeMigrants, DGB Jugend Oldenburg und JANUN Oldenburg e.V. gehen wir deswegen am 19.02.22 auf die Straße. Die Demo startet um 17 Uhr mit einer Kundgebung am Schlossplatz. Zudem wird es in Oldenburg mehrere Gedenkorte geben. Von 19 – 21 Uhr könnt ihr zu der im letzten Jahr gestalteten Gedenkwand am Alhambra kommen. Bringt Kerzen und Blumen mit. Erinnern heißt kämpfen!

Den Link zum Text: „Kette des Versagens“ findet ihr hier: https://19feb-hanau.org/wp-content/uploads/2021/02/Kette-des-Versagens-17-02-2021.pdf

und natürlich auch auf der Seite der Initiative 19. Februar Hanau: https://19feb-hanau.org/